Schweizer Journalist: Deutschland für Brückenbau zwischen West und Ost prädestiniert
20:59 29.04.2023 (aktualisiert: 21:38 29.04.2023)
© SNA / Wladimir TrefilowEine russische und eine deutsche Flagge

© SNA / Wladimir Trefilow
Wie wird sich Deutschland in einer Welt der Zukunft, einer „multipolar werdenden Welt“, positionieren? Der Schweizer Journalist Roger Köppel sieht derzeit auf der internationalen Bühne Entwicklungen passieren, die „eine Zeitenwende“ markieren könnten. Dabei ist es ihm zufolge Deutschland, das als „Brücke zwischen West und Ost“ fungieren muss.
Köppel, sinnbildlich vor dem Hintergrund der Statue eines sowjetische Soldaten, der den Sieg über das NS-Regime symbolisiert, im Treptower Park in Berlin stehend, warnte davor, Russland einseitig zu betrachten und sich vom Land aufgrund des Ukraine-Konflikts abzuschotten.
„Deutschland ist doch wie kein anderes Land in Europa (…) eine Brücke zwischen West und Ost. Hier haben die Großmächte Teile dieser Stadt (Berlin - Anm. d. Red) besetzt – die Briten, die Franzosen, die Engländer und aber eben auch die Russen, die hier so nachhaltige Spuren hinterlassen haben mit diesem sehr berührenden, überwältigenden (…) Denkmal“, so der Journalist.
Die Russen seien also hier auch weiterhin präsent. Und welches Land, wenn nicht Deutschland, könnte als Brücke zwischen West und Ost – und, wie es Goethe gesagt habe, als „West-östlicher Divan“ fungieren? Die Frage sei nun, wie Deutschland sich in der heutigen „multipolar werdenden Welt“, in der nicht nur die Amerikaner den Takt vorgeben würden, positionieren werde.
Vier Prozent der Amerikaner könnten nicht dem Rest der Welt – 96 Prozent der Weltbevölkerung – sagen, wo es lang gehe. Es seien derzeit viele politische und wirtschaftliche Entwicklungen im Gange, die eine Verlagerung der Schwergewichte anzeigten. China, Südamerika und die Türkei etwa markierten nun mit ihrer Politik eine „Zeitenwende“ – allerdings nicht die, die den Menchen in den westlichen Medien „propagandistisch und einseitig“ vorgegaukelt und eingetrichtert werde, sagte der Journalist in Bezug auf den Ukraine-Konflikt.
Es bahne sich nun eine Welt der Vielfalt an, die nicht von einer Macht kontrolliert werde. Deutschland müsse nun entscheiden, was es tun werde, wenn diese Welt Gestalt annehme.
„Sind wir hier eingebunkert, einbetoniert in ein Westbündnis, in eine EU, die ja auch den Wirklichkeitstest noch nicht geschafft hat in jeder Hinsicht, einer EU mit großen institutionellen Problemen – Stichwort Euro, Stichwort Migration, Stichwort Brexit, große Unzufriedenheit“, so Köppel.
Immer mehr Menschen haben ihm zufolge genug von dieser „Überflieger-Politik“ und der „elitären Abgehobenheit“. Es gebe demokratische Legitimationsdefizite in und um die EU.
Die Welt vervielfältige sich nun: Es gebe China, Europa habe ein großes Interesse, „mit den Chinesen zusammenzuarbeiten, mit den Russen zusammenzuarbeiten, aber auch mit den Amerikanern zusammenzuarbeiten“. In diesem Zusammenhang sei es für Deutschland eine „Schicksalsfrage“ und eine „Identitätsfrage“, denn der westliche Teil des Landes sei mit dem „Vaterlandsersatz EU“ aufgewachsen.
Nach der Wende sei aber ein anderer Teil Deutschlands mit „seinem Vaterlandsersatz“ – der Sowjetunion – dazugekommen, nämlich Ostdeutschland. Diese Menschen wünschen sich Deutschland zurück – und nicht die EU als „Vaterlandsersatz“. Der Journalist sieht nach eigenen Worten Deutschland stark in die Westbindung mit Amerika in die EU „einbetoniert“.
„Dieses Deutschland merkt jetzt, politisch kleben wir da, sind wir da angeleimt, angekettet, aber wirtschaftlich müssten wir doch viel weltoffener sein, müssten auch mit dem Osten zusammenarbeiten. Und wie man da diesen gordischen Knoten durchschlägt, (…) wie man da, ohne die Amerikaner zu verärgern, ohne die eigenen Deutschen zu verunsichern, wie man da, in dieser neuen, multipolaren Welt, seinen Platz findet, das ist (…) die ganz große Frage für die deutsche Außenpolitik“, so Köppel.
Gerade Deutschland mit seiner Geschichte seiner „Niederlage“ und auch der Art der Bewältigung dieser Niederlage habe sich sehr viel Respekt weltweit erarbeitet. Das Land sei bescheidener und offener durch seine Geschichte geworden.
„Deutschland wäre doch hier prädestiniert (…), hier eine Brücke zu bilden zwischen Amerika, Russland, China, West und Ost, aber eben auch Nord und Süd“, zeigte sich der Journalist zuversichtlich.
Die Frage sei nun, ob es deutsche Politiker gebe, die in der aktuellen Situation den Mut haben, die Gespräche zu führen und zu überzeugen, „ohne die Verbindung zum Westen zu zerschlagen“ oder sich in dieser „schroffen Militanz“ von den Chinesen und den Russen abzugrenzen.
Köppel zufolge hat die jetzige Regierung in Berlin aber nicht die Kraft, einer solchen Version Nachdruck zu verleihen. Außenministerin Annalena Baerbock sei „eine derart eindimensionale Einfachheit“. Der Journalist warf der Ministerin das „binäre Denken“ vor – „wir sind die Guten, das sind die Bösen“, die Guten müssten zusammenhalten gegen die „Bösen“. Das sei „eine Karikatur des Kalten Kriegs“, kritisierte Köppel.
Zwar gebe es Unterschiede und Systemdifferenzen zwischen den Staaten heute, man dürfe aber nicht zulassen, dass diese Differenzen zu „unüberbrückbaren Gegensätzen“ ideologisch übertrieben würden. So, wie das jetzt in den westlichen „Cancel“-Medien und in der „ganzen Politik der Einseitigkeit“ zelebriert werde.