Soll Deutschland jetzt in der Nato bleiben? – Deutsche Ex-Politiker bringen es auf den Punkt

© SNADeutscher Ex-Sicherheitsexperte Willy Wimmer und ehemaliger SPD-Politiker Albrecht Müller
Deutscher Ex-Sicherheitsexperte Willy Wimmer und ehemaliger SPD-Politiker Albrecht Müller - SNA, 1920, 17.04.2023
Die kritische Website – NachDenkSeiten bringt zum 24. Jahrestag des Kosovo-Kriegs eine Sammlung ihrer Publikationen und meint, es wäre hilfreich gewesen, den Blickwinkel auf die jüngere Geschichte zu erweitern. Man debattiert über das Völkerrecht und eine Zeitenwende.
Die Beteiligung an diesem Krieg war die eigentliche Zeitenwende in der deutschen Nachkriegsgeschichte, heißt es in der Einleitung. „Zum ersten Mal seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs beteiligte sich Deutschland aktiv an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, dem Luftkrieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. An den Spätfolgen von Uranmunition und Streubomben leiden die Menschen bis heute. Zu einer Aufarbeitung der Kriegsverbrechen kam es bis heute nicht.“
In einem der Beiträge sprach der NachDenkSeiten-Herausgeber Albrecht Müller, der vier Jahre lang SPD-Bundestagsabgeordneter und vorher Leiter der Planungsabteilung im Kanzleramt war, mit dem früheren CDU-Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär Willy Wimmer darüber, was man mit der Nato macht und wie sich die Nato vom Verteidigungs- zu einem Angriffsbündnis entwickelt hat. „Ist das noch der Freund oder ist es das Imperium, das uns gängelt?“, fragte Müller.
Willy Wimmer merkte an: „Wir haben aus der Verteidigungsallianz Nato, der der Deutsche Bundestag nur in dieser Verteidigungsfunktion zugestimmt hat, schleichend eine global agierende Angriffsformation bekommen. Und was noch erschwerend hinzukommt, wir waren ja damit einverstanden.“
Er hat die Denkschrift für den Bundeskanzler Helmut Kohl über die Nato-Mitgliedschaft des wiedervereinigten Deutschlands geschrieben. „Und diese Denkschrift ist in die Zwei-plus-Vier-Verträge eingegangen, ohne Wenn und Aber. Wir haben aufgrund dieser Dinge und der Entscheidung, in der Nato zu bleiben, den Alliierten gestattet, in Deutschland weiter Truppen zu unterhalten. Das war aber gebunden an den Verteidigungscharakter der Nato. Wir haben eine qualitative Veränderung bekommen, die sich bis heute in unserer deutschen Politik niederschlägt.“
Zu dieser Umwandlung der Nato ist das deutsche Volk nie gefragt worden: Wollt ihr das?
Das sei sogar bewusst ausgesteuert worden, fügt Wimmer hinzu. „Selbst der Deutsche Bundestag, der der Nato als Verteidigungsbündnis völkerrechtlich und staatsrechtlich zustimmen musste, ist ja nicht gefragt worden. Die Amerikaner, Clinton und Albright, wussten im Vorfeld des Jugoslawien-Krieges, den sie bewusst angesteuert haben und damit den Krieg nach Europa zurückgebracht haben, sie wussten genau, dass sie kein europäisches Parlament zu dieser qualitativen Veränderung des Nato-Vertrages würden bekommen können.“
Albrecht Müller erinnert sich, wie die USA in seiner Jugend und im weiteren Verlauf immer so etwas wie der väterliche Freund für die Deutschen waren. „Es war nicht der Imperator, also derjenige, der da oben sitzt und dem Vasallen etwas befiehlt oder auf intelligentere, aber wirksamere Weise direkt beeinflusst. Das hat sich ganz stark verändert. Wir sind im Grunde in einem Vasallentum.“ Nach der Rückkehr aus Washington ändern oft deutsche Politiker ihre Ansichten.
Willy Wimmer dazu: „Wir haben gedacht, diese enge Zusammenarbeit in Abstimmung mit den Vereinigten Staaten, die ja auch viele Vorteile für uns gebracht hat, wird weiterlaufen. Die Amerikaner haben eine andere Rolle gespielt, und Helmut Kohl ist von jedem Besuch in Washington in die Bundestagsfraktion zurückgekommen und hat gesagt: ,Ich verstehe die in Washington nicht mehr. Ich höre im Kongress und bei der Administration: Der Kalte Krieg ist beendet, und wir haben ihn gewonnen.‘ Und dann hat Helmut Kohl jedes Mal gesagt: ,So kann man ein großes Volk wie das russische nicht behandeln. Das wird der Anlass für Unfrieden in Europa sein.‘ Und genauso ist es gekommen. Es ist möglicherweise ja auch angesteuert worden, und das macht unser beider persönliche Geschichte so kompliziert, wenn wir die heutige Situation haben.“
Der frühere CDU-Abgeordnete fährt fort: „Wir haben die Zeit des Kalten Krieges damit bestimmt und gestaltet gesehen, dass wir vertragliche Vereinbarungen mit der anderen Seite genutzt, gesucht und gefunden haben, um die Bedrohung zu reduzieren. Heute stellen wir die Bedrohung selber dar. Man muss sich das auch auf der Zunge zergehen lassen. In den Vorgärten von Sankt-Petersburg, der im Zweiten Weltkrieg leidgeprüften Stadt Leningrad, stehen deutsche, amerikanische, britische und andere Panzer.“
Müller ergänzt: „Was da heute geschieht, die Verlagerung von Panzern und Militär an die russische Grenze und die Ausdehnung der Nato bis an die russische Grenze, das Reden über Aufrüstung statt Abrüstung, alles widerspricht dem, was wir vereinbart und worauf wir gehofft hatten. All das hat die Folge, dass wir kein Vertrauen aufbauen, sondern Vertrauen abbauen. Dahinter steckt im Kern die Vorstellung von einigen wichtigen Leuten in der westlichen Welt, man könne in Russland so etwas wie einen Regimewechsel bewirken, und man müsse das tun.“
Auf die Ereignisse in der Ukraine eingehend meint Albrecht Müller: „Nun gibt es Leute, die die Sanktionen gemacht haben und die militärische Konfrontation an Russlands Grenzen betreiben, die die Ukraine destabilisiert, dort einen Regimewechsel herbeigeführt haben, um die Russen zu zwingen, mehr Ressourcen, mehr Mittel in das Militär zu stecken mit der Konsequenz, dass das ökonomisch schlecht ist.“
„Denn die Russen werden nicht zulassen, dass ein drittes Mal in 200 Jahren ihr Territorium bis zum Ural verwüstet wird“, äußert Wimmer. „Warum sollten sie es auch? Und das sind alles Dinge, wo ich nur sagen kann: Warum treibt man das in Europa so auf die Spitze? Warum machen wir das? Ist Amerika in Europa nicht anders zu halten als dadurch, dass man uns gegen Russland in Stellung bringt? Wir als Nato arbeiten heute finanziell und auch militärisch mit der Ukraine in Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen auf ihrem Staatsgebiet zusammen. Das hätte sich für die alte Nato niemand erlauben dürfen.“
Albrecht Müller kommt zum Schluß: „Ich will nicht weg jetzt von der These, dass wir eigentlich aus der militärischen Struktur der Nato raus müssen.“
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