Machtübertragung 1933 – Bruch der deutschen Geschichte?

© AP PhotoAdolf Hitler in der Hofburg (15. März 1938)
Adolf Hitler in der Hofburg (15. März 1938) - SNA, 1920, 30.01.2023
Am 30. Januar 1933 übergaben die konservativen Eliten der Hitlerpartei die Macht.
Momentaufnahmen
Die Erinnerungsbilder haben sich dank wohldosierter und beabsichtigter Vorgehensweise seit Jahrzehnten eingebrannt: Schier endlose Kolonnen brauner Fackelträger ziehen durch das Berliner Stadtzentrum, grüßen ihren Führer Hitler und den greisen Reichspräsidenten Hindenburg und eröffnen eine neue, wie sich herausstellen sollte glücklicherweise nur 12 Jahre währende Epoche für Deutschland, Europa und die Welt. Der deutsche Faschismus an der Macht, Unterdrücker aller Linker und Demokraten, Kriegsbrandstifter und Mörder von Juden, Sinti und Roma, Slawen und politisch oder anderweitig Missliebiger. Glücklicherweise blieben Hitler und seine Kumpane nur 12 Jahre an der Macht, aber mit seinen Verbündeten in Rom, Tokio, aber auch in Bratislava oder in Zagreb oder Helsinki, in Budapest, Vichy oder Oslo verantworteten sie einen tödlichen Zivilisationsbruch, dem 55 bis 60 Millionen Menschen zum Opfer fielen – gefallen, erschlagen, vergast, verhungert.
Der 30. Januar 1933 steht offiziell für den Beginn dieser Mordorgie, die mit der Berufung Hitlers zum Reichskanzler begann und erst mit dem Sturm auf den Reichstag, dem kurz zuvor erfolgten Selbstmord des Diktators und schließlich mit der Kapitulation Japans nach den vernichtenden Schlägen auf Hiroshima und Nagasaki und der Zerschlagung der Japanischen Kwangtung-Armee auf dem Festland durch die Rote Armee 1945 endete.
Faschismus, faschistisch, vielleicht faschistoid geht Ostdeutschen, anderen marxistisch vorgebildeten Zeitgenossen leicht über die Lippen, tritt aber immer mehr hinter der Eigenbegrifflichkeit der Hitlerbewegung zurück: Nationalsozialisten und Nationalsozialismus, recht selten verballhornt mit dem eher abschätzigen Nazismus und seinen Nazis.
Begriffsgeschichte hat etwas mit der Art der Vergangenheitsbewältigung zu tun, was für wichtig, wesentlich gehalten wird, was in die Erinnerung eingehen soll und Erinnerungsarbeit, aber auch politisches Verhalten lenken soll.
Das Verklären der realen Geschichte und das Zünden vieler Nebelkerzen soll eine klare Auseinandersetzung mit den Ursachen der faschistischen Machtergreifung erschweren, gar verhindern. Denn sie war das Ergebnis einer Machtübernahme, einer Machtübertragung durch die konservativen, besitzenden Eliten Deutschlands. Lieber soll – natürlich unbedingt berechtigt – über den Mord an den Millionen Juden geredet und gerätselt, das scheinbar Irrationale dieser Morde in den Mittelpunkt von Erinnerung und Abscheu gestellt werden. Die realen Mechanismen sollen außen vor bleiben. Was schert da die Vorgeschichte von Präfaschisten schon im Kaiserreich um den Alldeutschen Verband und Kolonialverbrecher, was bedeutet da der blutige Kampf der schon durch den Ersten Weltkrieg verrohten Soldateska gegen die russischen und deutschen Revolutionen von 1917/18, und warum sollte erinnert werden an die oft gradlinigen Biografien die Weltkriegskämpfer über die bürgerkriegsfixierten Freikorps in die braunen und schwarzen Verbände der Nazis, in SA und SS?
Denn warum konnte sich eine zunächst recht kleine randständige Partei, die NSDAP, seit Beginn der 1930er Jahren so radikal durchsetzen? Wurde sie von den Stempelgroschen ihrer oft arbeitslosen einfachen Mitglieder in die Lage versetzt, die modernen Medien, vom "Völkischen Beobachter", dem "Stürmer" bis hin zur Nutzung des Rundfunks und des Flugzeugs als neue Massenkommunikationsmittel zu finanzieren? Warum erwuchsen auf einmal die Sympathien bei den Wirtschaftseliten für den kleinen "böhmischen Gefreiten" mit seinen Kämpfern aus dem meist unteren und mittleren Milieus der Bürger und teilweise Bürgerinnen des Deutschen Reiches? Und warum konnten Großunternehmer Thyssen, Reeder Woermann, Bankier von Schröder, Bankier Schacht, Reeder Helfferich oder Großagrarier von Kalckreuth erfolgreich den Generalfeldmarschall und Ersatzkaiser Hindenburg mit einer Denkschrift am 19. November 1932 belästigen und letztlich wohl mit den anderen Einflüsterern ihn zum Handeln bewegen.
Denn: "Mit Eurer Exzellenz bejahen wir die Notwendigkeit einer vom parlamentarischen Parteiwesen unabhängigen Regierung, wie sie in dem von Eurer Exzellenz formulierten Gedanken eines Präsidialkabinetts zum Ausdruck kommt."
Sie meinen es nicht abstrakt in ihrem Brief, sie wollten ein anderes Kaliber auf dem Kanzlersessel in der Berliner Wilhelmstraße als den glücklosen Brüning, den gut vernetzten von Papen oder den ambitionierten Politgeneral von Schleicher. Sie forderten unmissverständlich:
"Die Übertragung der verantwortlichen Leitung eines mit den besten sachlichen und persönlichen Kräften ausgestatteten Präsidialkabinetts an den Führer der größten nationalen Gruppe wird die Schlacken und Fehler, die jeder Massenbewegung notgedrungen anhaften, ausmerzen und Millionen Menschen, die heute abseits stehen, zu bejahender Kraft mitreißen."
Ein anderes historisches Bild jenes Tages im Januar 1933 ist weniger präsent, aber wohl entscheidender. Nicht die vermeintliche "nationale Revolution", für die die marschierenden Braunhemden stehen, sondern die Illusion, eine antikommunistische, antisozialistische und antidemokratische Rechtswende vornehmen zu können, einen braunen Stoßtrupp gegen die Linke zu instrumentalisieren und eine Revolution der Linken in Deutschland abwenden zu können. Es sah auf dem ersten Foto der neuen Regierung Hitler so heimelig aus, alle in Zivil, gut bürgerlich: Hermann Göring, Adolf Hitler, Franz von Papen, Franz Seldte, Günther Gereke, Lutz Graf Schwerin von Krosigk, Wilhelm Frick, Werner von Blomberg, Alfred Hugenberg. Die drei Nazis Hitler, Göring, Frick eingerahmt von Bürgerlichen, von Konservativen, die meinten, die braunen Banden bändigen und lenken zu können.
Der Faschismus nicht nur in seiner Epoche
Über was reden wir hier eigentlich? Um die Begrifflichkeiten ranken sich Mythen und sie sind Teil der geistigen, ideologischen Auseinandersetzung, die sich offenkundig nicht nur auf den Systemkonflikt und den Kalten Krieg des 20. Jahrhunderts bezieht. Definitionen dieses Phänomens einer, wie wir heute sagen würden, erfolgreichen neuen sozialen Bewegung jenseits und in Konfrontation mit der Arbeiterbewegung, jenseits und nicht immer im Konflikt mit der bürgerlichen Gesellschaft sind nicht neu.
Die einen schwärmten von der "nationalen Revolution", die anderen begriffen wie die Kommunistische Internationale des Jahres 1935 diese Bewegung und ihre Ideologie als "terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals", Trotzki oder Talheimer stellten die besondere Rolle des Kleinbürgertums heraus, in Anlehnung an Marx' Analyse der Machtergreifung durch Napoleon III. sprachen sie u.a. vom Bonapartismus, die etwas komplexer analysierenden auch linken Denker und Politiker von Zetkin über Korsch und Hans Günther suchten verbindende Momente, die Frankfurter Schule akzentuiert wiederum den autoritären Charakter der Bewegung und ihrer Akteure – wie zu vermuten sind alle diese Zuschreibungen ebenso treffend wie oft nur eindimensional.
Verkürzungen und Einseitigkeiten waren und sind nicht hilfreich: faschistische Bewegungen haben Ursachen und Rahmenbedingungen in einer krisenhaften Entwicklung in der Gesellschaft, sie stellen sich dagegen, wollen die alte Ordnung bewahren und sich gegen kommunistische und sozialistische Entwicklungen stellen, die demokratischen Rechte des einfachen Bürgers stören sie, sie sind zur Durchsetzung ihrer Ziele bereit, Gewalt anzuwenden,und sie dienen sich der bestehenden Macht, der bestehenden Herrschaft von Kapital und Großgrundbesitz an. Und nicht zu vergessen, sie verstehen es, durch einen Mix von Terror, Manipulation, Demagogie und sozialen Angeboten Massen zu gewinnen, zu Mitläufern, Mitwissern, Mittätern zu machen.
Die massenhafte Zerstörung von Arbeitsplätzen in einer Weltwirtschaftskrise ebenso wie der Niedergang der kleinbürgerlichen oder, wie wir heute eher sagen, der Mittel-Schichten – der kleinen Handwerker, Händler, der Dienstleister und abhängigen Intellektuellen – verschaffen ihnen die Massenbasis, indem sie versprechen, wenn möglich korrumpieren und diese Kräfte integrieren. Und wenn ein Versailler Vertrag nationale Gefühle – ob der Benachteiligung und Unterdrückung – höher schlagen lässt, umso besser.
Das gelingt im Ringen um die Macht und kann nach der Machtübernahme deutlich ausgebaut werden – siehe gerade die Erfahrung mit dem deutschen Faschismus. Er trat gegen die Linke an, schaltete schnell die bürgerliche und demokratische Opposition aus, wandte sich gegen Andersdenkende und Anderslebende, egal, ob "Bibelforscher" der Zeugen Jehovas, Homosexuelle und Lesben, oder massiv gegen Juden, Sinti und Roma, gegen all diejenigen, die ihr ausschließender Nationalismus und Rassismus für ausmerzbar erklärte. Es blieb nicht bei Boykotten, Verhaftungen und KZs. Eskalierend sorgten Mord und Totschlag, schließlich die industrialisierte Vernichtung der "Untermenschen" dafür, den einzigartigen Charakter dieses deutschen Faschismus zu erreichen.
Nach den revolutionären Erschütterungen 1917/23 im Gefolge des Ersten Weltkriegs begannen sich die Besitzenden zu sorgen. Sollte ein neuer Versuch ähnlich wie in Sowjetrussland auch in ihren Ländern Erfolg haben? In den 1920/30er Jahren begann sich eine massiv gewaltsame, massiv nationalistische, massiv antikommunistische und gelegentliche rassistische Bewegung zu entfalten – von Lissabon über Madrid bis nach Budapest oder Bratislava und ins Baltikum – mit je eigenen Ansprüchen und Eigenheiten.
Die heute übliche Differenzierung zwischen Demokratie und Diktaturen/Autokratien hilft hier auch nicht weiter. Nicht nur, dass die vermeintlich wertemäßig überlegenen westlichen Demokratien, damals Franzosen, Briten, US-Amerikaner, nicht frei von eigenen faschistischen Bewegungen waren, die Auswahl ihrer "demokratischen" Verbündeten damals wie heute war großzügig, wenn Schurken, dann sollten es die eigenen sein.
Einmal abgesehen von der im besten Totalitarismusgeiste erfolgenden Denunzierung des Sozialismus als genauso verwerflich und bedrohlich wie der klassische Faschismus eines Mussolini oder Hitlers. Wenn ein Stalin oder ein anderer Sowjetführer oder ein Putin zu Hand waren oder sind, dann leuchtet die westliche Demokratie, und es verbietet sich die Frage, wie aus ihrem kapitalistischen Schoß und ungetrübt durch demokratische Verrenkungen Faschisten nach der Macht greifen wollten und – wie 1933 zeigt – auch konnten. Und heute wieder können.
In der heutigen erfreulich breiten Auseinandersetzung mit dem Faschismus, gerade auch dem deutschen, fällt seine Reduzierung auf den Rassismus und zuallererst – weil dann lange nichts kommt – Antisemitismus auf. Nur, der Judenhass, ist keine Erfindung Hitlers oder Streichers oder Rosenbergs. Er ist zweifellos eine wichtige, auch mobilisierende Komponente der faschistischen Bewegung und dann des faschistischen Staates. Es ist eine eskalierende Auseinandersetzung mit jener Minderheit, die einen anderen ethnischen und religiösen Hintergrund hat, die aus historischen Gründen als Kaufleute wie als Intellektuelle wie als Linke erfolgreicher waren als andere, "benachteiligte" Deutsche.
Und doch ist der Faschismus keine Bewegung, die auf diesen Antisemitismus – trotz der Verantwortung für die Ermordung von wohl sechs Millionen europäischer Juden – reduzierbar ist. Das ist aber heute das beliebteste Muster einer verzerrenden Geschichtsbetrachtung. Zudem sind Juden wie jede andere Nation nicht frei von den Gefahren, dass auch sie oder genauer einige ihrer Vertreter zu Nationalisten und Faschisten mutieren können.

Wir beobachten, dass heute der 27. Januar 1945, der Tag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz durch die Rote Armee, in der bundesdeutschen Erinnerungspolitik einen höheren Stellenwert einnimmt als der 8. Mai, als Rote Armee, Briten, Franzosen und US-Amerikaner die Wehrmacht zur Kapitulation zwangen und dem deutschen Volk - auch wenn es dies damals nicht mehrheitlich begreifen wollte – die Befreiung brachte. Eine Einsicht, die sich in der alten Bundesrepublik erst nach einer nachdenklichen Rede des damaligen Bundespräsidenten von Weizsäcker 1985 durchzusetzen begann und die heute wieder aus dem historischen Gedächtnis mit politischem Kalkül gegen die Sowjetarmee, gegen die Russen verdrängt wird.

Der Vorwurf an marxistische Faschismusforschung – bei aller nötigen Kritik und Selbstkritik – geht immer in die Richtung, dass sie nach Interessen fragt, nach machtpolitischen und vor allem ökonomischen Begründungen für politisches, ideologisches, juristisches u.a. Handeln. Mit dem Untergang des Realsozialismus glaubt man hier, leichtes Spiel zu haben, vergibt sich aber selber eine Analysebasis, auch wenn – oft unausgesprochen – bei kritischer Forschung vieles an das Tagelicht kommt, ohne dass es um platte Konstruktionen, um Agententheorien oder dergleichen gehen kann. Es bleiben die Arbeiten der Abendroth, Kühnl, Opitz, Gossweiler, Pätzold, Weißbecker, Wippermann, die immer wieder nach ökonomischen Ursachen, ideologischen Mechanismen der Massenbeeinflussung und -verdummung, auch nach dem Versagen der zerstrittenen Linken gefragt haben..
Eine historische konkrete Faschismusanalyse wird offensichtlich auf unterschiedliche Faktoren – nicht immer alle gleichzeitig auftretend – stoßen, die die Entwicklung solcher Bewegungen befördern, egal, ob diese von einem Höcke, einer Melloni oder einer Le Pen präsentiert werden: Als Reaktion auf tiefe, die Gesellschaft und die Wirtschaft erfassende Krisen, auf ein zunehmendes reales oder auch nur empfundenes Versagen der demokratischen Strukturen und Medien, auf eine eklatante Schwäche einer linken handlungsunfähigen Gegenmacht, auf die massenweise Verunsicherung und den sozialen Abstieg breitester sozialer Schichten, angefangen bei den besonders anfälligen Mittelschichten, auf eine zu Destabilisierung neigende internationale Umwelt.
Und im Übrigen müsste gefragt werden, warum erst in den letzten 10-15 Jahren die bundesdeutsche Gesellschaft, Wirtschaft, Politikstrukturen, Staatsapparate unter die kritische Lupe genommen werden und gelinde gesagt eine eklatante Verstrickung der alten Eliten mit den aufstrebenden, rücksichtslosen Nazis und ihren Mordtaten aufgedeckt wird. Ist es nicht so, dass erst jetzt sicher alle wesentlichen Akteure und Opfer tot sind? Weil der Schaden für das politische Selbstverständnis so gering bleibt – ja Deutschland heute als der Saubermann und der ehrliche Geschichtsaufarbeiter dasteht - und eine neue Generation von Politikern und Wissenschaftlern mit sauberen Händen dastehen kann?
Und wo bleibt die Auseinandersetzung mit der ganzen Machtgeschichte von Imperialismus, Expansion, Aggression, Kolonialismus – sind das andere Felder, andere Mechanismen – oder ging es auch hier um Macht, um Profit, um Arbeitskräfte, um Vorherrschaft der einen, "der Herrennation" und um ihren Lebensraum?
Ein Bruch in der Geschichte
Vor 90 Jahren schrieb Joseph Goebbels siegestrunken in sein Tagebuch: "Es ist so weit. Wir sitzen in der Wilhelmstraße. Hitler ist Reichskanzler. Wie im Märchen! ... Jetzt an die Arbeit. Wahlkampf vorbereiten. Der letzte. Den werden wir haushoch gewinnen."
Angesichts dieser offenen Geheimnisse prophezeite die liberale "Vossische Zeitung" in ihrer Nachmittagsausgabe am 30. Januar 1933: "Hindenburg hat Hitler betraut. Die Zeichen stehen auf Sturm."
Und noch ein Zeitzeuge sei zitiert, der auch die Kalamität der Anti-Hitler-Opposition deutlich machte. Manche hatten in dieser denkwürdigen Nacht schon ihre Koffer gepackt und die Pässe genommen, um ins – wie sie meinten – kurze Exil zu gehen. Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaften reagierten hektisch, Generalstreik die Option, oder doch lieber abwarten. Wird es sich verlaufen, anpassen, nicht so schlimm werden – und die Lebenslüge der nächsten Wochen, Monate vielleicht Jahre: Hitler wird sich abwirtschaften und dann kommen wir. Der demokratische, pazifistische Publizist Carl von Ossietzky schrieb in einer letzten legalen, wie sich bald zeigen wird - "Weltbühne":
"Sie, Herr Reichskanzler, so muß man das lesen, sind der Führer einer Partei, die .durch rücksichtslose antikapitalistische Propaganda in die Höhe gekommen ist. Jetzt, wo Sie oben angelangt sind, gibt es das nicht mehr. Jetzt haben Sie den Restbestand des deutschen Kapitalismus zu konsolidieren, den Großgrundbesitz zu retten, die Ansätze zur Gemeinwirtschaft wieder rückgängig zu machen. Jetzt stehen Sie .auf der andern Seite der Barrikade, und das werden auch Ihre braunen Truppen spüren müssen!"
Es zeigen sich also widersprüchliche Gefühle und Einschätzungen.
Versuchen wir, einige Fragen zu stellen und Antworten anzudeuten, die die historischen Fakten näher beleuchten, die aber – bei aller Vorsicht sei es jedem überlassen – auch auf andere Zeiten und Verhältnisse übertragen werden könnten:
Zuerst, wieso konnte der Führer einer Partei, die diametral gegen das "System", gegen "Weimar" stand, an die Macht kommen. Hatte niemand seinen "Mein Kampf" gelesen, sicher wohl eine Qual für den Nichtbegeisterten, aber möglich – oder zumindest in den 25 Punkten des NSDAP-Programms geschmökert: für ein Großdeutschland, den Bruch mit Versailles und die Rückgabe der Kolonien, für Vorherrschaft und Ausschließlichkeit der deutschen Volksgenossen, erforderlichenfalls die Ausweisung aller Fremden und Einwanderungsverbot, Arbeit für alle Deutschen; gleichzeitig eine harsche Polemik gegen Zinsknechtschaft, die durchaus antikapitalistisch gelesen werden konnte, aber im Selbstverständnis der Nazis – und gegen Vorbehalte der Wirtschaft – letztlich nur antijüdisch ausgerichtet war und im Idealfall eine deutsche Ständegesellschaft ohne wirkliche Eingriffe in die Eigentumsverhältnisse beinhaltete.
Als kleine rechte Splitterpartei und mit einem Führer, der sich vom Gefreiten im Weltkrieg zum Propagandaredner der jungen Reichswehr hochgedient hatte und schließlich über wenige Umwege seinen Platz und seine Führerschaft in der bald NSDAP genannten Partei gefunden hatte, war ein Politiker, der sich überschätzen konnte, der seine politischen Weihen und den Märtyrernimbus mit dem Münchner Bürgerbräu-Putsch von 1923 erwarb und doch zwar reichsweit agieren konnte und unbedeutend blieb.
In den goldenen 1920er hatte es nach dem Ende der Nachkriegskrise für ihn keinen Bedarf gegeben, die Rechten glaubten, die Erfolge der Revolution zurückgedreht zu haben mit bürgerlichen Kabinetten, mit Hindenburg als Reichspräsident, mit der rechtskonservativen DNVP, mit Hugenberg und Co.
Es gab damals schon Fans und Sponsoren der Nazis, der Bankier von Schröder und der Großindustrielle Thyssen – der es später bitter bereute –, auch Henry Ford hinterm großen Teich war interessiert. Sie sorgten dafür, dass Hitler sich berappeln konnte und langsam eine noch kleine, aber militante Partei aufzubauen vermochte, die sich durch die Verbindung von Partei und SA auszeichnete und den Bürgerkrieg als Option anstrebte und zu praktizieren begann.
Hitlers Stunde kam mit der Weltwirtschaftskrise. Die Phase der relativen Stabilisierung war vorbei, das Land stürzte in eine wirtschaftliche und soziale Krise, das parlamentarische System löste die Probleme nicht mehr und die vielgelobte Weimarer Verfassung hatte mit ihrem Artikel 48 eine diktatorische Hintertür, die mit Brüning, von Papen, von Schleicher immer weiter geöffnet wurde.
Zum Zweiten: Weimar war nicht nur die erste deutsche demokratische Republik – wie sie vor kurzem zum 100. fast kritiklos bejubelt wurde, die etwa Frauenwahlrecht und Betriebsräte kodifizierte. Sie war von Anfang an mit der unvollendeten Novemberrevolution, mit Erblasten belastet, die in einer solchen Krise verhängnisvolle Folgen haben mussten: Es fand 1918/19 nicht nur keine sozialistische Revolution statt, sondern zum einen wurden die weitergehenden linken Vorstöße mit Hilfe jener Kräfte im Blut erstickt, die eigentlich mit der Revolution hätten hinweggefegt werden müssen. Die alten Militaristen, der kaiserliche Staats- und Justizapparat, ganz zu schweigen von dem weitgehend nicht erfolgenden Eingriff in die Eigentumsstrukturen, denen nur ein wenig die deutschen Fürstenhäuser sich nicht entziehen konnten, sicherten den Erfolg dieser Konterrevolution.
Zum anderen war die Weimarer Grundstimmung eben nicht nur demokratisch und gelegentlich frivol, sie war in den relevanten bürgerlichen Kreisen konservativ, nationalistisch, oft noch kaisertreu. Rechtskonservative Parteien liebäugelten weiter mit dem Kaiserhaus, rechte Frontkämpferverbände standen bereit für einen Bürgerkrieg, die Nazis fanden ein ideales Milieu. Trotz der Stärke der Arbeiterparteien, der zeitweisen Regierungsverantwortung der SPD im Reiche und in den Bundesstaaten – insbesondere Preußen – blieb es doch der alte Machklüngel von Großkapital und Großgrundbesitz mit seinen bildungsbürgerlichen und kleinbürgerlichen Stützen, die die Furcht vor sozialem Wandel umtrieb.
Mit der Krise ab 1929 spitze sich das zu – die Hoffnung auf einen starken Mann, an Frauen dachte damals niemand – könnte wieder Ruhe im Land einkehren.
Drittens ging es nicht allein um Arbeitsplätze, um die Sorge vor einer vielleicht erneuten Inflation, um den Wunsch, dass auf den Straßen nicht mehr demonstriert, politisch motiviert randaliert und geschossen wird. Entscheidender war die Frage, die sich die wirtschaftlichen Mächtigen im Lande stellten und die auch ihre politischen Partner bewegte: Wie verhindern wir ein neues 1918, eine neue Revolution der Hungerleider und Arbeitslosen, der Linken. Und im gleichen Maße: Wir bekommt Deutschland wieder Weltgeltung als Wirtschafts- und Militärmacht, als Kolonialmacht – wie kommen wir von Versailles weg. Dass hier manches schon aus Interesse der Westmächte und der USA normalisiert war, dass die Reparationen mittlerweile schon wieder in ertragbare Jahresraten gedrückt wurden – bewegte weniger. Das "Versailler Schanddiktat" sollte weg. Kurz:
Das deutsche Elitenprojekt der 1920/30er Jahre war klar – Deutschland wieder Weltmacht und den Kommunismus auslöschen – im Lande selbst und sicherheitshalber auch in Russland, der Sowjetunion.
Dafür wurden ein starker Mann und eine politische Macht gebraucht – Hitler und die NSDAP. Die Krakeeler der vergangenen Jahre wurden in den Kreisen hoffähig und die einschlägigen Kreise öffneten die Türen. Vorhergegangen war eine politische Demonstration, das Zusammengehen von NSDAP, DNVP, Stahlhelm und Alldeutschem Verband am 11. Oktober 1931 in Bad Harzburg, die Harzburger Front. Auch sie wird heute gern als Randerscheinung behandelt. Wie wir oben gesehen haben war den Zeitgenossen dieses Zusammengehen durchaus bewusst. Die alten Konservativen und Nationalisten suchten ein Zusammengehen mit der neuen Bewegung, und es passte in ihre politische Konstellation. Entweder gelang es der Rechten, wie auch immer, die sozialen Spannungen und die Militanz der Linken niederzudrücken, oder der ganze schöne alte Kapitalismus würde weggefegt. Reichswehr und Sicherheitspolizei würden wohl kaum ausreichen, um eine solche Entwicklung zu stoppen.
Das Jahr 1932 brachte widersprüchliche Signale. Die Rechten waren sich nicht so einig wie gewünscht. Noch einmal wurde Hindenburg (gegen Hitler und Thälmann) wiedergewählt, aber trotz des Fortlaufens der Krise schwand langsam der Einfluss der NSDAP. Es musste gehandelt werden – jetzt.
Die Gegenkräfte waren heillos zerstritten, die Wunden von Revolution und revolutionärer Nachkriegskrise waren nicht verheilt. Die radikale Linke war desorientiert und verfeindet. Die Kommunisten strapazierten die "Sozialfaschismus-These" gegen die SPD angesichts ihrer Erfahrungen aus den Kämpfen im Kontext der Novemberrevolution und mit dem Sozialdemokraten Gustav Noske als "Bluthund", Erfahrungen, die durch den "Blutmai" 1929 unter dem sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Zörgiebel noch verstärkt wurden. Die Sozialdemokratie stand dieser Verachtung in nichts nach, sprach von den "rotlackierten Faschisten".
Ein gemeinsames Handeln blieb aus - an der Basis wirkten noch Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschafter gelegentlich zusammen, aber die Feindschaft der Organisationen, das Missverstehen und das Bekämpfen von "Sozialfaschisten" und "rot lackierten Faschisten" desorientierten und verhinderten einen gemeinsamen Kampf gegen Rechts und verschreckte auch nicht wenige bürgerliche und intellektuelle Antifaschisten.
Viertens. Auf der anderen Seite, der rechten, herrschte auch kein eitel Sonnenschein. Das Hitler und seine raubeinige Truppe nicht die höchsten Weihen einer feinen bürgerlichen, gar noch ein wenig aristokratischen Gesellschaft besaßen, war naheliegend. Daran ändert auch wenig, dass die meisten Naziführer durchaus aus gutem Hause stammten, dem Vaterland und der Konterrevolution im Kriege und in den Freikorps gegen Bolschewiken und Polen treu gedient hatten, daran änderten auch die guten Kontakte eines Hermann Göring zur Wirtschaft noch nicht viel, da musste ein Hjalmar Schacht, ein von Schröder vom gleichnamigen Bankhaus, ein Thyssen viel Staub wischen – aber sie schafften es.
Schon im Juli 1931 gab es eine Eingabe der Wirtschaftspolitischen Vereinigung Frankfurt am Main an den Reichspräsidenten, Hitler die Macht zu übertragen. Entscheidender wurde der erwähnte Vorstoß von führenden Wirtschaftsvertretern am 19. November 1932 an Hindenburg mit der gleichen Prämisse, der braunen Partei auch legal die Würden der Macht zu übertragen.
Am 4. Januar gab es dann nochmals ein Treffen bei dem Bankier von Schröder. Letztlich hatten diese Vorstöße Erfolg. Damit es ein Hitler nicht zu bunt treiben sollte, gab es die Vorstellung, die Nazis – zunächst ja nur Hitler, Frick und Göring – mit den Herrenreitern von DNVP und Stahlhelm einzurahmen.
Wie so vieles eine Illusion. Der neue Kanzler sorgte für Neuwahlen, seine SA und sein Innenminister dafür, dass der Reichstag brannte – ob selbst gelegt oder die Tat eines verwirrten van der Lubbe lässt Historiker vielleicht nicht ohne Absicht bis heute streiten – aber die Folgen waren klar: Ausnahmezustand und vor allem ein "Ermächtigungsgesetz", am 24. März im Reichstag verabschiedet, den Kommunisten die Mandate gestohlen. Alle bürgerlichen Parteien stimmten zu, auch das Zentrum. Die später in der BRD nicht unbekannten Theodor Heuss und Ernst Lemmer gehörten zu den Votierenden. Allein die Sozialdemokraten hielten tapfer dagegen, die Kommunisten waren längst ihrer Mandate verlustig, auf der Flucht oder bereits gefangen.
Was bleibt?
Geschichte kennen und verstehen und nach den Interessen und Zielen zu fragen ist zentral. Das heißt auch nach den nächsten Schritten und Folgen fragen – nach der Beratung Hitlers mit den führenden Militärs schon am 4. Februar mit der klaren Befehlsausgabe für eine radikale geistige und materielle Aufrüstung, um erneut nach "Lebensraum" ausgreifen zu können, nach der "Ergebenheitserklärung" der deutschen Wirtschaft unter Krupp am 24. April 1933 und nach der Adolf-Hitler-Spende am 1. Juni 1933 daselbst und nach dem Anteil der Wirtschaft am wirtschaftlichen Aufschwung, der vor allem ein Rüstungsaufschwung war. Die Wirtschaft profitierte immer: an der Rüstung, am "arisierten" jüdischen Vermögen, an den in Österreich, der CSR, Polen, Frankreich ... gewonnenen Industriebetrieben und Banken und schließlich an der Ausbeutung von Zwangsarbeitern und KZlern.
Es ist hinter die Losungen und Legenden blicken, zu begreifen, dass Krisen wirken – und es sich entscheidet, wer in einer solchen Situation bei den Massen ist, aber auch, wer die Strippen zieht und die Medien kontrolliert. Die liberale Demokratie, die in Weimar halbherzig nach einer halb verlorenen Revolution praktiziert wurde, bestätigt: Wenn eine solche liberale Demokratie dabei stehen bleibt, nur eine demokratische Fassade für einen funktionierenden Kapitalismus abzugeben, wenn die bürgerlichen Kräfte in dieser Gesellschaft dieselben nationalistischen, ausländerfeindlichen, antilinken Positionen vertreten wie frisch gewendete und gewandelte Faschisten, dann bleibt der Staat auf dem rechten Auge blind – und er öffnet auch Tür und Tor für rechte Kräfte in Polizei, Justiz, Armee, Staatsapparat, Bildung und Medien.
Noch ringen die westlichen Staaten mit ihren rechten, nationalkonservativen, faschistoiden Kräften, noch haben die sich nur partiell – in Polen oder Ungarn oder Schweden durchgesetzt, sollen sie wie in Italien von rechten bürgerlichen Parteien eingehegt werden ... Diese Illusion ist in Nazideutschland rasch zerbrochen, aber warum nicht immer wieder es versuchen, wenn schon die Brandmauern gegen rechts wackelig sind.
Den Mut zur Zusammenarbeit und zum Zusammengehen haben, auch wenn vieles offen bleibt, den haben Linke erst in den KZs gefunden und in Buchenwald in der einen oder anderen Weise beschworen – bevor sie sich wieder auseinanderdriften ließen.
Newsticker
0
Um an der Diskussion teilzunehmen,
loggen Sie sich ein oder registrieren Sie sich
loader
Chats
Заголовок открываемого материала