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Ambivalente Antikapitalisten – Buch zur Hippie-Kultur in der Sowjetunion erschienen
Ambivalente Antikapitalisten – Buch zur Hippie-Kultur in der Sowjetunion erschienen
Wann ist ein Hippie ein Hippie? Was macht einen sowjetischen Hippie aus, und unterscheidet er sich maßgeblich von seinem „westlichen“ Gegenstück? Diesen und
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Wann ist ein Hippie ein Hippie? Was macht einen sowjetischen Hippie aus, und unterscheidet er sich maßgeblich von seinem „westlichen“ Gegenstück? Diesen und ähnlichen Fragen geht Juliane Fürst, Leiterin der Abteilung I „Kommunismus und Gesellschaft“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), in ihrem neuen Buch „Flowers Through Concrete“ nach. Aus über 100 Interviews und zahlreichen neu recherchierten Quellen, darunter Briefe, Tagebücher, Fotos, Videos, Kleidung oder Nähanleitungen, aber auch anhand von KGB-Dokumenten zeichnet sie ein Bild der sowjetischen Hippie-Bewegungen von den Anfängen in den späten 1960er-Jahren bis heute.Antikapitalistisch, aber fehlgeleitetDas Jahr 1967 bildete in der Sowjetunion den Startschuss für eine eigene Interpretation der Hippie-Kultur. Zunächst ausgehend von Bevölkerungsteilen mit Anbindung an westliche Kultur und Kommunikation – Bewohnerinnen und Bewohner der Baltischen Staaten oder der Ukraine, aber auch Kinder einflussreicher Moskauer Familien –, erregten Hippies zunehmend auch in der breiteren Sowjetgesellschaft Aufsehen. Man empfand das neue Phänomen als ambivalent: (Westliche) „Hippies waren antikapitalistisch und gegen den Vietnamkrieg, was ermutigend war, aber sie waren immer noch fehlgeleitet. Nach der sowjetischen Doktrin sollte nur der Marxismus das System, gegen das sie rebellierten, für immer verändern“, so Fürst.Die sowjetische Jugend, die die skeptischen bis ablehnenden öffentlichen Beschreibungen als regelrechte Anleitung für den Umgang mit „cooler“ Musik und Kleidung benutzte, sowie die sich später ausformenden sowjetischen Hippie-Gemeinschaften bewegten sich daher in einem schwierigen Feld aus Beobachtung und Repression: Zwar galten Hippies den offiziellen Stellen und Sicherheitsorganen als weniger problematische Ziele als Dissidenten oder Nationalisten, aber besonders ihre ausgeprägte Reisetätigkeit, wie auch die damit verbundenen Zugänge zu aktuellen lokalen Informationen, machte sie zu einer unangepassten und teils verfolgten Gruppe. Verfolgungen durch die Polizei, Übergriffe wie das erzwungene Schneiden der Haare durch zivile Beamte oder Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten durch Ärzte, die Nonkonformismus als Ausdruck von Schizophrenie missdeuteten, waren problematischer Bestandteil ihres Verhältnisses zur Staatsmacht.Mit Ideologie und Politik fertigLaut Fürst entwickelte sich diese besondere Beziehung zu einem Charakterzug der sowjetischen Hippie-Bewegung. Die Hippies zogen einerseits nicht nur alltagspraktisch aus der Nutzung sowjetischer sozialer Infrastruktur – wie geringen Lebenshaltungskosten oder gesicherten Beschäftigungsverhältnissen – reelle Vorteile, sondern erreichten auch ideologische Übereinstimmungen mit Werten der Staatsdoktrin, wie Kollektivismus, Gleichheit oder Antimaterialismus bis zu einem Punkt, an dem das (eigene) Hippie-Leben sogar als eine Art „wahrere und ehrlichere Version“ des Sowjetlebens erhöht wurde.Andererseits führte die erlebte Konfrontation zwischen offizieller Propaganda, Alltagsleben und eigenen Vorstellungen zu einem radikalen Rückzug ins Individuelle: Besonders „das Eindringen des Staates in das Privatleben, das für alle Bereiche des sowjetischen Lebens galt“ und, als übergriffig empfunden wurde und Ideale wie Freiheit und persönlichen Freiraum konterkarierte, wurde vollständig und ohne Rücksicht auf eigene Nachteile abgelehnt. Und dies durchaus weitreichend, wie die Autorin aufzeigt: „Tatsächlich waren sie mit Ideologie und Politik fertig.“ Hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu den politischen Überzeugungen ihrer westlichen Gleichgesinnten.Auch die Bildung paralleler geschlossener Subkulturen nach westlichem Vorbild blieb den sowjetischen Hippies verwehrt: Spezifische Nischen unter der Bezeichnung „sistema“, das System, beinhalteten zwar eigene Kommunikationskanäle und feste Räume wie Cafés und Privatwohnungen, neue soziale Ideen wie kommunale Lebensentwürfe waren im sowjetischen Kontext allerdings unmöglich – was, wie Fürst ausführt, auch die Geschlechtergleichheit beeinflusste.Die Monographie „Flowers Through Concrete“, ist im Verlag Oxford University Press erschienen. Sie beschließt das Forschungsprojekt „Hippies in the Soviet Union“, das vom britischen „Arts und Humanities Research Council“ (AHRC) als Teil verschiedener Großprojekte gefördert wurde.
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Ambivalente Antikapitalisten – Buch zur Hippie-Kultur in der Sowjetunion erschienen
20:02 10.03.2021 (aktualisiert: 07:16 11.03.2021) Bolle Selke
Redakteur und Moderator
Blumen im Haar, Jeans, Drogenkonsum, und sanfte Sonnenuntergänge über kalifornischen Stränden: Allgemeine Vorstellungen von der Hippie-Kultur sind stereotyp und unvollständig. Ein Buch blickt erstmals auf die Hippie-Kultur hinter dem Eisernen Vorhang und fügt der Forschung zu sowjetischen Subkulturen neue und überraschende Elemente hinzu.
Wann ist ein Hippie ein Hippie? Was macht einen sowjetischen Hippie aus, und unterscheidet er sich maßgeblich von seinem „westlichen“ Gegenstück? Diesen und ähnlichen Fragen geht Juliane Fürst, Leiterin der Abteilung I „Kommunismus und Gesellschaft“ am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF), in ihrem neuen Buch „Flowers Through Concrete“ nach. Aus über 100 Interviews und zahlreichen neu recherchierten Quellen, darunter Briefe, Tagebücher, Fotos, Videos, Kleidung oder Nähanleitungen, aber auch anhand von KGB-Dokumenten zeichnet sie ein Bild der sowjetischen Hippie-Bewegungen von den Anfängen in den späten 1960er-Jahren bis heute.
Antikapitalistisch, aber fehlgeleitet
Das Jahr 1967 bildete in der Sowjetunion den Startschuss für eine eigene Interpretation der Hippie-Kultur. Zunächst ausgehend von Bevölkerungsteilen mit Anbindung an westliche Kultur und Kommunikation – Bewohnerinnen und Bewohner der Baltischen Staaten oder der Ukraine, aber auch Kinder einflussreicher Moskauer Familien –, erregten Hippies zunehmend auch in der breiteren Sowjetgesellschaft Aufsehen. Man empfand das neue Phänomen als ambivalent: (Westliche) „Hippies waren antikapitalistisch und gegen den Vietnamkrieg, was ermutigend war, aber sie waren immer noch fehlgeleitet. Nach der sowjetischen Doktrin sollte nur der Marxismus das System, gegen das sie rebellierten, für immer verändern“, so Fürst.
Die sowjetische Jugend, die die skeptischen bis ablehnenden öffentlichen Beschreibungen als regelrechte Anleitung für den Umgang mit „cooler“ Musik und Kleidung benutzte, sowie die sich später ausformenden sowjetischen Hippie-Gemeinschaften bewegten sich daher in einem schwierigen Feld aus Beobachtung und Repression: Zwar galten Hippies den offiziellen Stellen und Sicherheitsorganen als weniger problematische Ziele als Dissidenten oder Nationalisten, aber besonders ihre ausgeprägte Reisetätigkeit, wie auch die damit verbundenen Zugänge zu aktuellen lokalen Informationen, machte sie zu einer unangepassten und teils verfolgten Gruppe. Verfolgungen durch die Polizei, Übergriffe wie das erzwungene Schneiden der Haare durch zivile Beamte oder Zwangseinweisungen in psychiatrische Anstalten durch Ärzte, die Nonkonformismus als Ausdruck von Schizophrenie missdeuteten, waren problematischer Bestandteil ihres Verhältnisses zur Staatsmacht.
Mit Ideologie und Politik fertig
Laut Fürst entwickelte sich diese besondere Beziehung zu einem Charakterzug der sowjetischen Hippie-Bewegung. Die Hippies zogen einerseits nicht nur alltagspraktisch aus der Nutzung sowjetischer sozialer Infrastruktur – wie geringen Lebenshaltungskosten oder gesicherten Beschäftigungsverhältnissen – reelle Vorteile, sondern erreichten auch ideologische Übereinstimmungen mit Werten der Staatsdoktrin, wie Kollektivismus, Gleichheit oder Antimaterialismus bis zu einem Punkt, an dem das (eigene) Hippie-Leben sogar als eine Art „wahrere und ehrlichere Version“ des Sowjetlebens erhöht wurde.
Andererseits führte die erlebte Konfrontation zwischen offizieller Propaganda, Alltagsleben und eigenen Vorstellungen zu einem radikalen Rückzug ins Individuelle: Besonders „das Eindringen des Staates in das Privatleben, das für alle Bereiche des sowjetischen Lebens galt“ und, als übergriffig empfunden wurde und Ideale wie Freiheit und persönlichen Freiraum konterkarierte, wurde vollständig und ohne Rücksicht auf eigene Nachteile abgelehnt. Und dies durchaus weitreichend, wie die Autorin aufzeigt: „Tatsächlich waren sie mit Ideologie und Politik fertig.“ Hier zeigt sich ein fundamentaler Unterschied zu den politischen Überzeugungen ihrer westlichen Gleichgesinnten.
Auch die Bildung paralleler geschlossener Subkulturen nach westlichem Vorbild blieb den sowjetischen Hippies verwehrt: Spezifische Nischen unter der Bezeichnung „sistema“, das System, beinhalteten zwar eigene Kommunikationskanäle und feste Räume wie Cafés und Privatwohnungen, neue soziale Ideen wie kommunale Lebensentwürfe waren im sowjetischen Kontext allerdings unmöglich – was, wie Fürst ausführt, auch die Geschlechtergleichheit beeinflusste.
Die Monographie „Flowers Through Concrete“, ist im Verlag Oxford University Press
erschienen. Sie beschließt das Forschungsprojekt „
Hippies in the Soviet Union“, das vom britischen „Arts und Humanities Research Council“ (AHRC) als Teil verschiedener Großprojekte gefördert wurde.